Die besondere Herausforderung bei der Aufbereitung von S- bzw. J-förmigen Kanalstrukturen liegt in der Risikominimierung von Kanaltransportationen und Instrumentenfrakturen. Drei Maßnahmen sind hierfür entscheidend: Das Erstellen eines adäquaten Gleitpfades, eine abschnittsweise Aufbereitung des Wurzelkanals sowie die Verwendung eines geeigneten Feilensystems. Traditionell erstellen wir den Gleitpfad mit C-Handfeilen der ISO Größen 08 und 10. Dadurch erhalten wir ein taktiles Feedback über die Beschaffenheit des Wurzelkanals, welches durch die Verwendung eines Winkelstücks verloren gehen würde.
Als Feilensystem für S- oder J-förmige Kanäle verwenden wir Feilensysteme, welche sich bei Körpertemperatur überwiegend in der martensitischen und damit weichen kristallinen Phase befinden. Diese Feilensysteme verfügen nicht über das typische pseudoelastische Verhalten klassischer Feilen und entfernen somit weniger Dentin an der Außenkurvatur des Wurzelkanals (was zu einer Reduktion der Kanaltransportation führt). Bezüglich der Gefahr einer Feilenfraktur bieten diese Feilensysteme Vor – wie auch Nachteile: Hinsichtlich der Biegeermüdung sind sie klassischen Feilensystemen klar überlegen, nicht jedoch hinsichtlich der Torsionsermüdung. Aufgrund der beschriebenen materialkundlichen Eigenschaften empfiehlt sich somit bei starken Wurzelkanalkrümmungen ein schrittweises, von koronal nach apikal gerichtetes Vorgehen: Die Feile wird hierbei im Winkelstück passiv in den Kanal eingeführt, bis sie auf Widerstand stößt. In dem Moment, in dem man die Friktion der Feile spürt, wird die Feile aus dem Kanal entfernt, auf Unversehrtheit überprüft und die Gängigkeit mit einem Handinstrument überprüft. Nun kann man tiefer passiv in den Kanal vordringen und das Prozedere (Aktivieren bis Friktion, Entfernen, Prüfen, Gängigkeit) beginnt von Neuem, bis die Arbeitslänge sowie die gewünschte Aufbereitungsgröße erreicht werden.